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Wiederkehr des Menschen
Thomas E. Schmidt

Wiederkehr des Menschen

€ 18,50

Buch
240 Seiten; 17 cm x 12 cm
Sprache Deutsch
2018 Merve
ISBN 978-3-96273-011-6

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Hauptbeschreibung

Als Chiffre des technischen Fortschritts im »Westen« der Welt hat sich neuerdings die Digitalisierung durchgesetzt. Dieses Durchsetzen jenes ausgezeichneten Vorstellungskomplexes »Digitalisierung« in der Verständigung der Gesellschaften über sich, eine Idee, die in den meisten Selbstdeutungen der Gegenwart inzwischen die Position eines »Grundes« einnimmt und sogar neue Verhaltenslehren abzuleiten ermöglicht und unerwünschte abzuweisen, verwandelt die Digitalisierung wiederum. Sie ist dann nichts Technisches mehr, sondern wird zu einer Leitidee, nach welcher sich Gesellschaften tatsächlich ausrichten. Was geschieht in und mit der Gesellschaft, wenn sie den Gedanken und den Prozess der Digitalisierung exklusiv für sich reklamiert und ihn universalisiert? Dieser Frage gehen die Beiträge dieses Bandes nach, aus unterschiedlichen Perspektiven und eher am Phänomen ausgerichtet – ohne den Anspruch, dabei eine in sich schlüssige und einheitliche Theorie der sich verändernden Gesellschaft zu entwerfen.
Die Verdoppelung des Daseins in Datensätzen und die Rückkopplung des Imitierten und Simulierten ins analoge Leben hinein – vor allem aber das Schillern der algorithmischen Eigenexistenz, die nicht mehr dem Original entspricht und es trotzdem fortzuentwickeln beginnt, all das zwingt den Einzelnen dazu, sein seelisch und körperlich Erlebtes mit einer Veränderungskraft zu konfrontieren, von der es heißt, sie lasse nichts und niemanden ungeschoren, schon gar nicht die Vorstellungen, in denen die Menschen bisher ihr Leben geführt und geordnet hatten. Die Digitalisierung ist nicht nur ein »objektives«, in Apparaten oder auf Märkten sich abspielendes Geschehen, sondern sie ist genauso eine Anpassungsleistung des Einzelnen. Und keine Instanz, die mit dem Kollektivsubjekt »der Gesellschaft« identisch wäre, ist imstande, ein abschließendes und endgültiges Urteil über den Erfolg der Digitalisierung zu fällen, ob sie im Kern gut oder schlecht sei, ob sie tauge oder ob man sie doch irgendwann wieder vergessen könne.
Eine gewichtige Kulturkritik warnte noch vor ihren verderblichen Folgen, während die digitale Technik längst schon selbstverständlich genutzt wurde. Und weder ist diese Kritik inzwischen verstummt, noch hat die Verklärung des Digitalen als ein Menschheitstraum nachgelassen. Individuen, Familien, Gemeinschaften, Institutionen und Teilsysteme der Gesellschaft entscheiden für sich, wie intensiv ihre Nutzung ausfällt – was nicht heißt, dass der Durchsetzungsprozess ergebnisoffen wäre. Mag er stets von ökonomischen, politischen und persönlichen Interessen überlagert sein, als solcher ist der Prozess zu breit und zu vielgestaltig, um aus einem verborgenen Zentrum heraus gesteuert zu werden oder um einer Manipulation mit langem Atem zu unterliegen. In Hinblick auf ihre eigenen Belange ist Gesellschaft nicht formiert. Das kontroverse Geschehen ist die Adaption des Neuen, ist die Veränderung selbst, in zeitlicher Erstreckung und als Spektrum widerstreitender Haltungen. Der epochale Wandel ist deswegen eher ein »Spiel«, wenn auch ein ernstes. An ihm kann, vielleicht auch muss ein jeder mit einer je eigenen Strategie teilnehmen. Und das Spiel kreist um Wahrheit.

Einführung oder Vorwort

Am Anfang des dritten Jahrtausends ist Selbstermunterung nötig, um noch einmal über die Zukunft zu spekulieren. Die hat keine, möchte man witzeln, weil sie weder das Paradies mehr in Aussicht stellen kann, noch die Apokalypse. Die Zukunft ist auch nicht etwa durch eine beruhigte Nachgeschichte absorbiert worden, gewissermaßen erstarrt in einem Gallert des Wohlergehens und der weltumspannenden Zufriedenheit, denn davon kann nicht die Rede sein. Eher ist sie zu schnell geworden und unstet in ihren Richtungen, daher kaum noch zu veranschaulichen. Außerdem wirkt die Zukunft wie immer schon eingetreten, was Optimisten wie Pessimisten gleichermaßen enttäuscht. Armut und Hunger auf der Welt gehen zurück, die Medizin entwickelt sich stürmisch, im Westen reüssiert ein klimaneutraler »Daten-« oder »Plattformkapitalismus« ohne himmelschreiende Ausbeutungsverhältnisse. Währenddessen kehren in andere Regionen Krieg, Seuchen und religiöser Fanatismus zurück, ein mörderisches Altertum, und nur die Fluchtbewegungen der Opfer verbindet noch die eine mit der anderen Sphäre der Erde.
Zwischen finaler Katastrophe und finaler Wunscherfüllung kann eigentlich jede Deutung der Lage ein bisschen Wahrheit für sich beanspruchen. Als letzte Instanz, die aus sich heraus noch eine erkennbare Richtung aufweist, gilt die Technik. Und als Chiffre des technischen Fortschritts im »Westen« der Welt, jener unwiderstehlichen revolutionären Energiequelle für den ganzen sozialen Erdball, die andernorts eben auch das Archaische wieder mobilisiert, hat sich die Digitalisierung durchgesetzt. Und dieses Durchsetzen, also der evolutionäre Erfolg jener einen Kategorie oder jenes ausgezeichneten Vorstellungskomplexes »Digitalisierung« in der Verständigung der Gesellschaften über sich, eine Idee, die in den meisten Selbstdeutungen der Gegenwart inzwischen die Position eines »Grundes« einnimmt und sogar neue Verhaltenslehren abzuleiten ermöglicht und unerwünschte abzuweisen, verwandelt die Digitalisierung wiederum. Sie ist dann nichts Technisches mehr, sondern wird zu einer Leitidee, nach welcher sich Gesellschaften tatsächlich ausrichten. Sie wird dann zu etwas wirklich Wirkendem und ist nicht mehr nur etwas Beschriebenes. Was geschieht in und mit der Gesellschaft, wenn sie den Gedanken und den Prozess der Digitalisierung exklusiv für sich reklamiert und ihn universalisiert?
Dieser Frage wollen die Beiträge dieses Bandes nachgehen, und zwar aus unterschiedlichen Perspektiven und eher am Phänomen ausgerichtet – ohne den Anspruch, dabei eine in sich schlüssige und einheitliche Theorie der sich verändernden Gesellschaft zu entwerfen. Eine »Theorie« der Digitalisierung samt ihrer sozialen Wirkungen wäre eine ziemlich radikale Beschreibung, die am Ende doch über die neuen Phänomene hinwegdeutet, weil sie ihren Schwung aus der unterstellten Universalisierungsbewegung bezieht. Mit ihr könnte man dann auch die Zukunft voraussagen, die Zukunft der Intelligenz und der Gefühle, der Körper, der Arbeit und der Demokratie. Aber leider steht die Art und Weise, wie Daten inzwischen gewonnen und verbreitet werden, einer solchen Prognostik im Weg.
Die Verdoppelung des Daseins in Datensätzen und die Rückkopplung des Imitierten und Simulierten ins analoge Leben hinein – vor allem aber das Schillern der algorithmischen Eigenexistenz, die nicht mehr dem Original entspricht und es trotzdem fortzuentwickeln beginnt, all das zwingt den Einzelnen dazu, sein seelisch und körperlich Erlebtes – man möchte sagen die »Tradition seines Lebens« – mit einer Veränderungskraft zu konfrontieren, von der es heißt, sie lasse nichts und niemanden ungeschoren, schon gar nicht die Vorstellungen, in denen die Menschen bisher ihr Leben geführt und geordnet hatten. Die Digitalisierung ist nicht nur ein »objektives«, in Apparaten oder auf Märkten sich abspielendes Geschehen, sondern sie ist genauso eine Anpassungsleistung des Einzelnen. Das Neue ereignet sich ebensowohl in einem Innen, und die davon betroffenen Subjekte tauschen sich darüber aus, tragen es in ein gesellschaftliches Außen. Das Neue, wenn es denn sein soll oder muss, wird fortlaufend kommunikativ begleitet, informierend wie mitteilend. Und keine Instanz, die mit dem Kollektivsubjekt »der Gesellschaft« identisch wäre, ist imstande, ein abschließendes und endgültiges Urteil über den Erfolg der Digitalisierung zu fällen, ob sie im Kern gut oder schlecht sei, ob sie tauge oder ob man sie doch irgendwann wieder vergessen könne.
Eine gewichtige Kulturkritik warnte noch vor ihren verderblichen Folgen, während die digitale Technik längst schon selbstverständlich genutzt wurde. Und weder ist diese Kritik inzwischen verstummt, noch hat die Verklärung des Digitalen als ein Menschheitstraum nachgelassen. Individuen, Familien, Gemeinschaften, Institutionen und Teilsysteme der Gesellschaft entscheiden für sich, wie intensiv ihre Nutzung ausfällt – was nicht heißt, dass der Durchsetzungsprozess ergebnisoffen wäre. Mag er stets von ökonomischen, politischen und persönlichen Interessen überlagert sein, als solcher ist der Prozess zu breit und zu vielgestaltig, um aus einem verborgenen Zentrum heraus gesteuert zu werden oder um einer Manipulation mit langem Atem zu unterliegen. In Hinblick auf ihre eigenen Belange ist Gesellschaft nicht formiert. Das kontroverse Geschehen ist die Adaption des Neuen, ist die Veränderung selbst, in zeitlicher Erstreckung und als Spektrum widerstreitender Haltungen. Der epochale Wandel ist deswegen eher ein »Spiel«, wenn auch ein ernstes. An ihm kann, vielleicht auch muss ein jeder mit einer je eigenen Strategie teilnehmen. Und das Spiel kreist um Wahrheit.

Als Chiffre des technischen Fortschritts im »Westen« der Welt hat sich neuerdings die Digitalisierung durchgesetzt. Dieses Durchsetzen jenes ausgezeichneten Vorstellungskomplexes »Digitalisierung« in der Verständigung der Gesellschaften über sich, eine Idee, die in den meisten Selbstdeutungen der Gegenwart inzwischen die Position eines »Grundes« einnimmt und sogar neue Verhaltenslehren abzuleiten ermöglicht und unerwünschte abzuweisen, verwandelt die Digitalisierung wiederum. Sie ist dann nichts Technisches mehr, sondern wird zu einer Leitidee, nach welcher sich Gesellschaften tatsächlich ausrichten. Was geschieht in und mit der Gesellschaft, wenn sie den Gedanken und den Prozess der Digitalisierung exklusiv für sich reklamiert und ihn universalisiert? Dieser Frage gehen die Beiträge dieses Bandes nach, aus unterschiedlichen Perspektiven und eher am Phänomen ausgerichtet – ohne den Anspruch, dabei eine in sich schlüssige und einheitliche Theorie der sich verändernden Gesellschaft zu entwerfen.
Die Verdoppelung des Daseins in Datensätzen und die Rückkopplung des Imitierten und Simulierten ins analoge Leben hinein – vor allem aber das Schillern der algorithmischen Eigenexistenz, die nicht mehr dem Original entspricht und es trotzdem fortzuentwickeln beginnt, all das zwingt den Einzelnen dazu, sein seelisch und körperlich Erlebtes mit einer Veränderungskraft zu konfrontieren, von der es heißt, sie lasse nichts und niemanden ungeschoren, schon gar nicht die Vorstellungen, in denen die Menschen bisher ihr Leben geführt und geordnet hatten. Die Digitalisierung ist nicht nur ein »objektives«, in Apparaten oder auf Märkten sich abspielendes Geschehen, sondern sie ist genauso eine Anpassungsleistung des Einzelnen. Und keine Instanz, die mit dem Kollektivsubjekt »der Gesellschaft« identisch wäre, ist imstande, ein abschließendes und endgültiges Urteil über den Erfolg der Digitalisierung zu fällen, ob sie im Kern gut oder schlecht sei, ob sie tauge oder ob man sie doch irgendwann wieder vergessen könne.
Eine gewichtige Kulturkritik warnte noch vor ihren verderblichen Folgen, während die digitale Technik längst schon selbstverständlich genutzt wurde. Und weder ist diese Kritik inzwischen verstummt, noch hat die Verklärung des Digitalen als ein Menschheitstraum nachgelassen. Individuen, Familien, Gemeinschaften, Institutionen und Teilsysteme der Gesellschaft entscheiden für sich, wie intensiv ihre Nutzung ausfällt – was nicht heißt, dass der Durchsetzungsprozess ergebnisoffen wäre. Mag er stets von ökonomischen, politischen und persönlichen Interessen überlagert sein, als solcher ist der Prozess zu breit und zu vielgestaltig, um aus einem verborgenen Zentrum heraus gesteuert zu werden oder um einer Manipulation mit langem Atem zu unterliegen. In Hinblick auf ihre eigenen Belange ist Gesellschaft nicht formiert. Das kontroverse Geschehen ist die Adaption des Neuen, ist die Veränderung selbst, in zeitlicher Erstreckung und als Spektrum widerstreitender Haltungen. Der epochale Wandel ist deswegen eher ein »Spiel«, wenn auch ein ernstes. An ihm kann, vielleicht auch muss ein jeder mit einer je eigenen Strategie teilnehmen. Und das Spiel kreist um Wahrheit.

DER REIZ IM DATENTAUSCH. DER »MENSCH« IN DIGITALER KOMMUNIKATION 25
DER DISRUPTIVE CHARAKTER UND SEIN WAHRHEITSSPIEL. DIE INSZENIERUNG SOZIALER AUTORSCHAFT 79
SOZIALE EPISODEN. NEO-GEMEINSCHAFTEN UND IHRE EIGENZEIT 113
POP NATUR. IM PORNOGRAFISCHEN UNIVERSUM 167
POLITIK DES LEBENS. BIOMACHT IM POSTLIBERALEN ZEITALTER 207

Thomas E. Schmidt (*1959), studierte Philosophie, Literatur, Linguistik und Kunstgeschichte. Er arbeitete beim ZDF, bei der Frankfurter Rundschau und der Welt. Seit 2001 ist er für die ZEIT tätig, derzeit als Korrespondent in Berlin.